Freelancer-Scheinselbstständigkeit? Wir sind nicht schutzbedürftig!

Vor gut zwei Jahren ist die Novelle des Werkvertrags- und Leiharbeitsrecht in Kraft getreten. Von der Neuregelung erhofften sich Freelancer aus der IT- und Kreativbranche und andere qualifizierte Solo-Selbstständige ein Ende des bedrohlichen Scheinselbstständigkeits-Generalverdachts.
Denn nach dem ausdrücklichen Willen der Bundesregierung sollte die Neuregelung „dem sachgerechten Einsatz von Werk- und Dienstverträgen in den zeitgemäßen Formen des kreativen oder komplexen Projektgeschäfts nicht entgegenstehen.“
Die Hoffnung auf die Befreiung vom Damoklesschwert Scheinselbstständigkeit hat sich jedoch nicht erfüllt. Zuletzt weigerten sich immer mehr Unternehmen, Aufträge an qualifizierte Freiberufler zu vergeben. Auf diese Weise wollen sie verhindern, zu Arbeitgebern wider Willen zu werden. Denn: Stellen Betriebsprüfer im Nachhinein eine Scheinselbstständigkeit fest, müssen die Auftraggeber Steuern und Sozialabgaben nachzahlen. Und das für bis zu vier Jahre lang.
Mit anderen Worten: Eine direkte Bestrafung müssen betroffene Solo-Selbstständige zwar nicht befürchten. Ihre Auftragslage wird jedoch ohne Not erschwert. So ergab eine Umfrage des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschlands (VGSD), dass 59 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr mindestens einen Auftrag mit Verweis auf die Scheinselbstständigkeits-Grauzone verloren haben!
Lektüretipp:
Mit den Folgen der ungewollten staatlichen Bevormundung beschäftigt sich die September-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins „brand eins“: „Ich bin nicht schutzbedürftig“. Darin schildern rund siebzig Betroffene, wie sehr ihnen die Rechtsunsicherheit zu schaffen macht!
Wieso eigentlich „scheinselbstständig“?
Arbeitnehmer sollen in Deutschland vor Ausbeutung geschützt werden. Und das ist ja auch gut so! Deshalb gelten für „abhängig Beschäftigte“ die Schutzvorschriften des Sozial- und Arbeitsrechts. Dazu gehören unter anderem ...
- der Anspruch auf Mindestlohn,
- die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber,
- das Einhalten maximaler Tages- und Wochen-Arbeitszeiten sowie Mindest-Pausenzeiten,
- Urlaubsansprüche oder auch
- Mutter- und Kündigungsschutz.
Wichtig: Bei der Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und vermeintlicher Scheinselbstständigkeit kommt es nicht auf die vertragliche Grundlage an. Entscheidend ist die tatsächlich gelebte Praxis im konkreten Einzelfall.
Gegenüber Selbstständigen und Unternehmern greifen diese Auflagen grundsätzlich nicht. Kein Wunder, dass manche Arbeitgeber „freie“ Mitarbeiter bevorzugen. Durch Aufträge an Werkvertrags-„Subunternehmer“ versuchen sie, Arbeitsschutzbestimmungen zu umgehen und Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Vor allem in der Logistik-Branche, im Baugewerbe und in Schlachthäusern werden gering qualifizierte Arbeitskräfte ausgebeutet.
Dass der Gesetzgeber solchen Missständen einen Riegel vorschiebt, ist sinnvoll und unstrittig. Unter dem Scheinselbstständigkeits-Generalverdacht leiden jedoch auch und gerade qualifizierte Solo-Selbstständige: Obwohl sie in der Lage sind, faire Honorare zu erzielen und für Krankheit und Alter angemessen vorsorgen, verlieren sie Aufträge. Und ausgerechnet bei ihnen finden die meisten Prüfungen der Rentenversicherungsträger statt!
Weiterführende Informationen:
- Scheinselbstständigkeit: Risikogruppe Freiberufler
- Scheinselbstständigkeit: „Ich bin nicht schutzbedürftig“
- Schluss mit der Hexenjagd: Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber